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«Zuständigkeitsvorfragenschiedssprüche» sind nicht beschwerdefähig
Mit seinem Urteil beantwortet das Bundesgericht eine Frage zum Beschwerderecht in internationalen Schiedssachen, die bisher weder Gegenstand seiner Rechtsprechung war noch in der Lehre diskutiert wurde: Kann ein Schiedsspruch, der lediglich wesentliche Vorfragen für den Entscheid über die Zuständigkeit zum Gegenstand hat, ohne zugleich abschliessend über eine Unzuständigkeitseinrede zu urteilen, mit Beschwerde vor Bundesgericht angefochten werden? Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass ein solcher «Zuständigkeitsvorfragenschiedsspruch» nicht Gegenstand einer Beschwerde sein kann.
Kommentar von Axel Buhr zu Urteil 4A_98/2017 vom 20. Juli 2017
I. Sachverhalt
[1] Gegenstand des Urteils vom 20. Juli 2017 im Verfahren 4A_98/2017, das zur Publikation in der amtlichen Sammlung bestimmt ist, bildet eine Beschwerde gegen den Schiedsspruch eines Schiedsgerichts mit Sitz in Genf.
[2] Wie sich aus einer im Internet veröffentlichten Volltextfassung des Urteils ergibt, handelt es sich beim zugrundeliegenden Schiedsverfahren um ein weiteres der zahlreichen Verfahren, die milliardenschwere Schadenersatzansprüche gegenüber der Russischen Föderation im Zusammenhang mit der Zerschlagung des russischen Ölkonzerns Yukos zum Gegenstand haben.
[3] Das Schiedsverfahren wurde im Februar 2013 von der in Luxemburg ansässigen Yukos Capital Sàrl («Yukos») gestützt auf Art. 26 Abs. 4 lit. b des Vertrags über die Energiecharta vom 17. Dezember 1994 (SR 0.730.0) eingeleitet.
[4] Kern der Schiedsklage bildet der Vorwurf, die Russische Föderation habe rechtswidrig Yukos Investitionen in der Russischen Föderation enteignet. Yukos verlangt von der Russischen Föderation Schadenersatz, in den Worten des Bundesgerichts in einer Höhe «von leicht über USD 13 Milliarden».
[5] Wie sich aus der Verfahrensgeschichte ergibt, wird das Schiedsverfahren vor dem Ständigen Gerichtshof in Den Haag nach den UNCITRAL-Schiedsregeln geführt. Das dreiköpfige Schiedsgericht hat seinen Sitz in Genf.
[6] Im April 2014 erhob die Russische Föderation, unter Bezugnahme auf Art. 21 Abs. 4 der UNCITRAL-Schiedsregeln eine Unzuständigkeitseinrede. Die Unzuständigkeitseinrede stützte sich auf die folgenden fünf unabhängig voneinander bestehenden (zum Teil bereits aus anderen Yukos-Verfahren bekannten) Alternativbegründungen:
- Die Russische Föderation habe den Vertrag über die Energiecharta zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert. Dementsprechend sei der Vertrag über die Energiecharta nur bis zum 19. Oktober 2009 (dem Datum des Rücktritts vom Vertrag über die Energiecharta) und nur unter der in Art. 45 genannten Voraussetzung vorläufig anwendbar, dass die vorläufige Anwendung nicht mit der Verfassung, den Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften der Russischen Föderation unvereinbar sei.
- Die von Yukos gewährten Darlehen seien keine Investitionen im Sinne von Art. 1 Nr. 6 des Vertrags über die Energiecharta.
- Die Rechtsstreitigkeit sei steuerlicher Natur und falle gemäss Art. 21 des Vertrags über die Energiecharta nicht in dessen Anwendungsbereich.
- Yukos gehe in Luxemburg keiner nennenswerten Geschäftstätigkeit nach und werde von Angehörigen eines Drittstaats kontrolliert. Die Russische Föderation sei daher nach Art. 17 des Vertrags über die Energiecharta berechtigt, Yukos die Vorteile aus dem dritten Teil des Vertrags über die Energiecharta («Förderung und Schutz von Investitionen») zu verweigern.
- Die behaupteten Investitionen seien in einer rechtswidrigen Art und Weise getätigt worden und als solche nicht durch den Vertrag über die Energiecharta geschützt.
[7] Nach Konsultation der Parteien teilte das Schiedsgericht das Schiedsverfahren im April 2014 mit einer verfahrensleitenden Verfügung in zwei Phasen auf. Der Verfahrensgegenstand der ersten Phase des Schiedsverfahrens wurde auf die Alternativbegründungen (i), (ii) und (iv) beschränkt. Die Alternativbegründungen (iii) und (v) sollten demgegenüber, zusammen mit der Beurteilung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs in der Sache, den Gegenstand der zweiten Phase des Schiedsverfahrens bilden.
[8] Mit einem als Zwischenentscheid über die Zuständigkeit («Interim Award on Jurisdiction») bezeichneten Schiedsspruch vom 18. Januar 2017 schloss das Schiedsgericht die erste Phase des Schiedsverfahrens ab. Mit seinem Schiedsspruch verwarf das Schiedsgericht die Alternativbegründungen (i), (ii) und (iv). Es hielt zugleich fest, dass es die verbleibenden Alternativbegründungen (iii) und (v) zusammen mit dem Schadenersatzanspruch in der Sache in einem weiteren Schiedsspruch beurteilen werde, und ordnete die Wiederaufnahme des Schiedsverfahrens innerhalb von 28 Tagen an.
[9] Mit Beschwerde vom 17. Februar 2017 rügte die Russische Föderation die Verletzung von Art. 190 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291). Die Beschwerdeführerin verlangte in der Sache die Aufhebung des Schiedsspruchs und die Feststellung, dass das Schiedsgericht unzuständig sei, sowie in prozessualer Hinsicht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die (super-)provisorische Sistierung des Schiedsverfahrens.
[10] Mit Verfügung vom 23. Februar 2017 ordnete das Bundesgericht die Sistierung des Schiedsverfahrens bis zum Entscheid über die Gesuche um Erteilung der aufschiebenden Wirkung und um Erlass von provisorischen Massnahmen an.
[11] Mit Schreiben vom 16. März 2017 teilte die Beschwerdegegnerin dem Bundesgericht mit, man habe sich mit der Beschwerdeführerin auf die Sistierung des Schiedsverfahrens bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens geeinigt. Bezugnehmend auf seine Verfügung vom 23. Februar 2017 stellte das Bundesgericht mit Schreiben vom 20. März 2017 fest, ein Entscheid über die Gesuche um Erteilung der aufschiebenden Wirkung und um Erlass von provisorischen Massnahmen sei aufgrund der erzielten Einigung entbehrlich.
[12] Auf Nachfrage der Beschwerdegegnerin teilte das Bundesgericht den Parteien in einem weiteren Schreiben vom 9. Mai 2017 mit, das Bundesgericht beabsichtige, vorab über die Eintretensvoraussetzungen zu entscheiden – sowohl aus Gründen der Prozessökonomie als auch vor dem Hintergrund, dass die Beschwerdeführerin selbst ernsthafte Zweifel am Vorliegen der Eintrittsvoraussetzungen geäussert habe. Das Bundesgericht hielt fest, es werde einen Schriftenwechsel anordnen, sollte es zum Schluss kommen, dass die Eintretensvoraussetzungen vorliegen oder dass ein Vorabentscheid über die Eintretensvoraussetzungen nicht möglich sei.
II. Entscheid
[13] Mit Urteil vom 20. Juli 2017 entschied das Bundesgericht, auf die Beschwerde nicht einzutreten (E. 3.3).
[14] Ausgangspunkt der Erwägungen des Bundesgerichts bilden Art. 186 Abs. 3 und 190 Abs. 3 IPRG, sowie die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts zu diesen Bestimmungen (E. 2.2): Werde eine Unzuständigkeitseinrede erhoben, entscheide das Schiedsgericht gemäss Art. 186 Abs. 3 IPRG über seine Zuständigkeit in der Regel durch Vorentscheid. Entscheide das Schiedsgericht vorab über seine Zuständigkeit, handle es sich unabhängig von der Bezeichnung dieses Entscheids durch das Schiedsgericht um einen Vorentscheid im Sinne von Art. 186 Abs. 3 IPRG (E. 2.2 mit Verweis auf Urteil des Bundesgerichts 4A_414/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 1.1).
[15] Art. 190 Abs. 3 IPRG bestimme, dass ein solcher Entscheid nur aus den in Art. 190 Abs. 2 lit. a und b IPRG genannten Gründen angefochten werden könne, wobei die Beschwerdefrist mit der Zustellung des Vorentscheides zu laufen beginne (E. 3.1).
[16] Gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG könne ein Schiedsspruch angefochten werden, «wenn sich das Schiedsgericht zu Unrecht für zuständig oder unzuständig erklärt» habe. Aus dem Wortlaut der Bestimmung sowie ihrem systematischen Verhältnis zu Art. 190 Abs. 3 IPRG könnten, so das Bundesgericht, folgende Schlussfolgerungen gezogen werden (E. 3.1):
- Wenn das Schiedsgericht vorab über eine Unzuständigkeitseinrede entscheide und sich für unzuständig erkläre, handle es sich um einen endgültigen Schiedsspruch.
- Der Wortlaut des Art. 186 Abs. 3 IPRG, wonach das Schiedsgericht in der Regel durch Vorentscheid «über seine Zuständigkeit entscheide», sei insofern zu weit gefasst, als es sich nur dann um einen Vorentscheid handle, wenn das Schiedsgericht sich für zuständig erkläre. Richtigerweise handle es sich dabei um einen Teilentscheid im Sinne von Art. 188 IPRG, der ebenso Gegenstand einer Beschwerde sein könne wie ein endgültiger Schiedsspruch. Die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts könne nicht nur gestützt auf Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG unmittelbar mit einer Beschwerde gegen diesen Schiedsspruch gerügt werden, sie müsse es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sogar, da die Rüge andernfalls verwirke (Urteil des Bundesgerichts 4A_370/2007 vom 21. Februar 2008 E. 2.3.1).
- Wenn sich das Schiedsgericht während des Verfahrens für zuständig erkläre, handle es sich dabei zugleich um einen Vorentscheid im Sinne von Art. 190 Abs. 3 IPRG, der ebenfalls unmittelbar mit der Beschwerde angefochten werden könne und müsse.
- Dem gleichzustellen seien nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts Vor- oder Zwischenentscheide des Schiedsgerichts, die nicht ausdrücklich dessen Zuständigkeit, sondern eine andere formelle oder materielle Vorfrage zum Gegenstand hätten, deren Behandlung einer impliziten Entscheidung über die Zuständigkeit gleichkomme (BGE 130 III 376 E. 3.2.1 Urteil des Bundesgerichts 4A_370/2007 vom 21. Februar 2008 E. 2.3.1).
- Soweit das Schiedsgericht dagegen eine verfahrensleitende Verfügung erlasse, an die es nicht gebunden sei und auf die es im Laufe des Verfahrens wieder zurückkommen könne, könne eine solche Verfügung – von Ausnahmen abgesehen – nicht Gegenstand einer Beschwerde sein (Urteil des Bundesgerichts 4A_596/2012 vom 15. April 2013 E. 3.3 – 3.7).
[17] Mit Ausnahme der verfahrensleitenden Verfügungen sei allen diesen vorgenannten Zwischenentscheiden gemein, dass mit ihnen auf die eine oder andere Art ein für alle Mal über die Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichts entschieden werde. Unabhängig davon, ob es sich um einen endgültigen Schiedsspruch, einen Teilschiedsspruch, einen Zwischen- oder einen Vorentscheid handle, entscheide das Schiedsgericht abschliessend für sich und für die Parteien bindend über seine Zuständigkeit, in dem es diese entweder bestätige oder ablehne (E. 3.2).
[18] Ohne Zweifel entspreche die Pflicht der Schiedsbeklagten, nach Erhebung einer Unzuständigkeitseinrede einen die Zuständigkeit bestätigenden Vorentscheid so schnell wie möglich anzufechten, dem Wunsch nach einer effizienten Verfahrensgestaltung. Gleichwohl dienten auch die Bestimmungen, welche den Zugang zum Bundesgericht regelten, genau demselben Ziel: Eben aus Gründen der Verfahrenseffizienz solle sich das Bundesgericht als oberste Recht sprechende Behörde des Bundes grundsätzlich – von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen abgesehen – nur einmal mit dem gleichen Verfahren, an dessen Ende, befassen müssen. Unbestreitbar bestehe, trotz des gleichlautenden Ziels einer effizienten Verfahrensgestaltung, ein «Antagonismus» zwischen der Verwirklichung dieses Ziels im Schiedsverfahren einerseits und dem Beschwerdeverfahren andererseits (E. 3.2).
[19] Bei der Lösung dieses Interessenkonflikts sei zu berücksichtigen, dass insbesondere in internationalen Schiedsverfahren mit einem oft sehr hohen Streitwert die Einräumung eines zusätzlichen Beschwerderechts der Gefahr des Missbrauchs einer Beschwerde zur Blockierung des Schiedsverfahrens durch eine «Salamitaktik» Vorschub leisten würde. Darüber hinaus sei vorhersehbar, dass die mit einer sofortigen Beschwerde erzielbaren Effizienzgewinne in vielen Fällen durch Verzögerungen im Beschwerdeverfahren aufgewogen würden, wie sie beispielsweise in Folge von Gesuchen der Beschwerdegegnerin um Sicherstellung ihrer Parteientschädigung durch die typischerweise nicht in der Schweiz ansässige Beschwerdeführerin entstünden (E. 3.2).
[20] Ohnehin stünden jedoch nicht nur rechtliche Überlegungen einer solchen weiten Auslegung des Beschwerderechts entgegen. Eine solche weite Auslegung sei bisher auch nicht Gegenstand der Diskussion in der Lehre gewesen (E. 3.3.1).
[21] Zunächst sei darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut des Art. 190 Abs. 2 lit. b IPRG ein Beschwerdegrund nur dann gegeben sei, «wenn sich das Schiedsgericht zu Unrecht für zuständig oder unzuständig erklärt» habe. Dies sei vorliegend jedoch gerade nicht der Fall, habe das Schiedsgericht im Schiedsspruch vom 18. Januar 2017 doch lediglich über Vorfragen zu seinem Entscheid über die Zuständigkeit entschieden und den Entscheid über die Zuständigkeit auf einen späteren Zeitpunkt verschoben (E. 3.3.1).
[22] Im systematischen Vergleich zu den (gemäss Art. 77 Abs. 2 des Bundesgerichtsgesetzes [BGG; SR 173.110] nicht anwendbaren) Bestimmungen der Art. 92 und 93 BGG handle es sich damit weniger um einen Entscheid über die Zuständigkeit, der mit Beschwerde gemäss Art. 92 Abs. 1 BGG angefochten werden könne und auch müsse. Der angefochtene Schiedsspruch sei vielmehr mit einem «anderen selbständig eröffneten Vor- und Zwischenentscheid» vergleichbar, gegen den die Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG nur unter der – hier nicht gegebenen – Voraussetzung zulässig sei, dass «die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde» (E. 3.2).
[23] Im Übrigen dürfe mit Blick auf die Rechtssicherheit und ganz allgemein die Rolle des Bundesgerichts als oberster Recht sprechender Behörde des Bundes den Parteien und/oder dem Schiedsgericht nicht – schon gar nicht für taktische Manöver – die Möglichkeit geboten werden, das Bundesgericht mehrfach mit demselben Verfahren zu befassen, nur weil das Schiedsverfahren auf die eine oder andere Art geführt werde (E. 3.2).
[24] Schliesslich sei mit Blick auf das Ziel der Verfahrenseffizienz festzuhalten, dass internationale Schiedsverfahren als private Streitbeilegungsmethode nur eine Minderheit in der Schweiz betreffen würde, und dass die Befassung des Bundesgerichts mit solchen Verfahren nicht die eigentliche Hauptaufgabe des Bundesgerichts beeinträchtigen dürfe, die einheitliche Anwendung des Bundesrechts sicherzustellen und die Beachtung der Grundrechte zu gewährleisten (E. 3.2).
[25] Da das Schiedsgericht lediglich drei der fünf Unzuständigkeitsargumente abschliessend beurteilt, nicht aber über seine Zuständigkeit abschliessend entschieden habe, sei nicht auszuschliessen, dass das Schiedsgericht sich trotz des Umstands, dass es mit seinem Schiedsspruch drei der fünf Unzuständigkeitsargumente verworfen habe, letztlich dennoch für unzuständig erklären werde. In diesem Fall würde das Bundesgericht bei einem Eintreten auf die Beschwerde die mit der Beschwerde aufgeworfenen heiklen Fragen vergeblich beurteilen. Auf die Beschwerde sei aus diesem Grund nicht einzutreten (E. 3.3).
[26] Abschliessend hält das Bundesgericht fest, dass den Parteien die Beschwerde gegen den definitiven Entscheid des Schiedsgerichts über die Zuständigkeit selbstverständlich umfassend, d.h. auch mit Blick auf den Entscheid über die mit dem Schiedsspruch vom 18. Januar 2017 beurteilten drei Unzuständigkeitsargumente, offenstehe (E. 3.3).
[27] Bei diesem Ergebnis habe die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten in Höhe von CHF 100’000 zu tragen. Bei der Festlegung der Gerichtskosten sei einerseits der enorme Streitwert und andererseits der Umstand zu berücksichtigen, dass das Bundesgericht weder einen Zuständigkeitsentscheid noch einen Entscheid in der Sache habe überprüfen müssen. Schliesslich habe die Beschwerdegegnerin keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung, da sie nicht zur Vernehmlassung eingeladen worden sei (E. 4).
III. Kommentar
[28] Das Urteil des Bundesgerichts ist zunächst deshalb lesenswert, weil es den in der Öffentlichkeit bereits bekannten Teil der «Yukos-Saga» um ein weiteres Verfahren mit einem spektakulär hohen Streitwert bereichert.
[29] In praktischer Hinsicht ruft das Urteil darüber hinaus in Erinnerung, dass das Bundesgericht gestützt auf Art. 103 Abs. 3 BGG nicht nur einer Beschwerde aufschiebende Wirkung erteilen kann, welche die Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils hemmt. Das Bundesgericht kann auch andere provisorische und superprovisorische Sicherungsmassnahmen ergreifen. Im vorliegenden Fall hat das Bundesgericht auf Antrag der Beschwerdeführerin das Schiedsverfahren superprovisorisch bis zum Entscheid über die aufschiebende Wirkung sistiert (ebenso bereits Urteil des Bundesgerichts 4A_614/2010 vom 6. April 2011 Teil C).
[30] Schliesslich ist das Urteil auch in rechtlicher Hinsicht relevant. Mit seinem Urteil beantwortet das Bundesgericht eine Frage zum Beschwerderecht in internationalen Schiedssachen, die – wie das Bundesgericht selbst festhält – bisher weder Gegenstand seiner Rechtsprechung war noch in der Lehre diskutiert wurde: Kann ein Schiedsspruch, der lediglich wesentliche Vorfragen für den Entscheid über die Zuständigkeit zum Gegenstand hat, ohne zugleich abschliessend über eine Unzuständigkeitseinrede zu urteilen (sozusagen ein «Zuständigkeitsvorfragenschiedsspruch»), mit Beschwerde zum Bundesgericht angefochten werden?
[31] Wie sich aus der vom Bundesgericht dokumentierten Prozessgeschichte ergibt (Teil A, am Ende), hatte die Beschwerdeführerin selbst «ernsthafte Zweifel», ob ihre Beschwerde die Eintretensvoraussetzungen erfüllt. Eine Möglichkeit, von der Beschwerde abzusehen, hatte die Beschwerdeführerin letztlich dennoch nicht. Denn wie das Bundesgericht selbst festhält, geht nach dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung ein bei Vorentscheiden bestehendes Beschwerderecht zugleich mit einer Beschwerdeobliegenheit einher, deren Verletzung in einem späteren Beschwerdeverfahren mit Verwirkungsfolgen sanktioniert wird. Angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit konnte die Beschwerdeführerin somit nur durch eine Beschwerde gegen den Schiedsspruch vom 18. Januar 2017 sicherstellen, bei einer späteren Beschwerde gegen einen Entscheid, in dem sich das Schiedsgericht für zuständig erklärt, eine fehlerhafte Beurteilung der Alternativargumente (i), (ii) und (iv) noch rügen zu können.
[32] Diese Rechtssicherheit musste die Beschwerdeführerin angesichts von Gerichtskosten im Höchstbetrag von CHF 100’000 (vgl. Art. 65 Art. 3 lit. b BGG) teuer erkaufen. Immerhin blieb der Beschwerdeführerin – anders als im jüngst bekannt gewordenen Casino-Fall (Urteil des Bundesgerichts 4A_532/2016 vom 30. Mai 2017) – die Bezahlung noch höherer Gerichtskosten (deren Auferlegung gemäss Art. 65 Abs. 5 BGG in besonderen Fällen bis zum Doppelten des Höchstbetrags zulässig ist) – sowie einer Parteientschädigung – zu Recht erspart. Schliesslich handelte es sich um einen blossen Nichteintretensentscheid (E. 4).
[33] Das Urteil des Bundesgerichts, auf die Beschwerde nicht einzutreten, erscheint richtig, hält das Bundesgericht doch dieTür für eine Beschwerde gegen einen späteren Zuständigkeitsentscheid ausdrücklich und uneingeschränkt offen (E. 3, am Ende).
[34] Dem offenkundigen Wunsch der Parteien und des Schiedsgerichts, mit Eintritt der Rechtskraft des Zuständigkeitsvorfragenschiedsspruchs hinsichtlich der entschiedenen Zuständigkeitsvorfragen frühzeitig Rechtssicherheit zu erhalten, ohne zugleich diejenigen Zuständigkeitsvorfragen beantworten zu müssen, die eng mit dem Entscheid in der Sache verknüpft sind, entzieht das Urteil den Boden.
[35] Ob das Konzept des Zuständigkeitsvorfragenschiedsspruchs ohne die gewünschte Rechtskraftwirkung eine Daseinsberechtigung hat, wird sich zeigen. In manchen Fällen mag es trotz der Rechtsprechung des Bundesgerichts sinnvoll sein, Zuständigkeitsvorfragen vorab zu klären. Kommt das Schiedsgericht aufgrund der Prüfung der Zuständigkeitsvorfragen zum Schluss, dass es unzuständig ist, kann das Verfahren frühzeitig durch einen endgültigen Schiedsspruch beendet werden. Kommt das Schiedsgericht nach Prüfung der Zuständigkeitsvorfragen hingegen zum Schluss, dass es noch nicht abschliessend über seine Zuständigkeit entscheiden kann, erzielt der Zuständigkeitsvorfragenschiedsspruch im Vergleich zu einer verfahrensleitenden Verfügung immerhin eine höhere Bindungswirkung.
Zitiervorschlag:
Axel Buhr, «Zuständigkeitsvorfragenschiedssprüche» sind nicht beschwerdefähig, in: dRSK, publiziert am 8. September 2017