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Strenge Rügeobliegenheit in Ablehnungskonstellationen
Kommentar von Simon Gabriel zu: Entscheid 4A_620/2012 vom 29.05.2013
Das Bundesgericht erachtet verspätete Rügen in Ablehnungskonstellationen als verwirkt. Es stellt klar, dass die Ablehnungsfristen auch für noch nicht bestätigte “Schiedsrichterkandidaten” gelten. Die potentielle Verletzung eines “non-waivable red list”-Tatbestands der IBA Guidelines on Conflict of Interest in International Arbitration prüft das Bundesgericht aufgrund Rügeverwirkung nicht. Damit liegt nahe, dass das Bundesgericht die Tatbestände der “non-waivable red list” nicht rügeunabhängig als untragbar übernimmt.
Sachverhalt
[1] Die X. S.A.D. mit Sitz in Spanien betreibt eine Fussballmannschaft in der höchsten spanischen Liga. Sie lag mit dem uruguayanischen Fussballclub Y. über eine Transferentschädigung für einen Spieler im Streit. Auf Antrag von Y. entschieden die FIFA-internen Organe (d.h. das FIFA Players’ Status Committee und das FIFA Disciplinary Committee) zugunsten von Y., zuletzt im sogenannten Disziplinarentscheid vom 30. November 2011. Die X. reichte gegen den Disziplinarentscheid der FIFA Beschwerde beim Tribunal Arbitral du Sport (TAS) ein.
[2] Mit Eingabe vom 7. März 2012 ernannte die FIFA Frau E. als Parteischiedsrichterin. Mit Schreiben vom 8. März 2012 lud das TAS die X. ein, zur Eingabe der FIFA Stellung zu nehmen.
[3] Mit Schreiben vom 7. Mai 2012 informierte das TAS die Parteien, dass Frau E. folgende Umstände offengelegt habe: “I am an external consultant of FIFA in America regarding statutes governance and management of the federations”.
[4] Im selben Schreiben vom 7. Mai 2012 wies das TAS die Parteien auf Folgendes hin: “In the event the parties have an objection to the appointment of Mrs E., they may request her challenge within a deadline of seven days after the grounds for the challenge has become known, in accordance with the requirements set at Article R34 of the Code of Sports-related Arbitration”.
[5] Mit Schreiben vom 22. Mai 2012 informierte das TAS die Parteien, das dreiköpfige Schiedsgericht (mit Frau E.) sei konstituiert worden. Kurze Zeit später, mit Eingabe vom 28. Mai 2012 stellte die X. ein Ablehnungsgesuch gegen Frau E., da sie als externe Konsulentin der Gegenpartei nicht unabhängig sei. Nach Vernehmlassungen mit der FIFA und Frau E. wurde das Gesuch an das zuständige Board of International Council of Arbitration for Sport (ICAS) zur Entscheidung überwiesen. Dieses wies das Ablehnungsgesuch der X. als verspätet und daher unzulässig zurück, womit Frau E. im Schiedsgericht verblieb.
[6] Während der Schiedsverhandlung vom 9. Juli 2012 verlangte die X. Beizug von zwei Dokumenten aus dem Verfahren vor dem FIFA Players’ Status Committee unter Hinweis, dass eine Verweigerung dieses Beizugs ihr rechtliches Gehör verletzte. Das Schiedsgericht wies den Antrag ab: Die fraglichen Dokumente hätten keinen Bezug zum Disziplinarentscheid und wären überdies bereits im Besitz der X. Für das Verfahren wesentliche Dokumente könnten aber noch während der Verhandlung zu den Akten gegeben werden.
[7] In der Folge ersuchte die X. das Schiedsgericht, zwei Dokumente aus dem Verfahren vor dem FIFA Players’ Status Committee zu den Akten zu nehmen. Diesen Antrag wies das Schiedsgericht mit Verweis auf Artikel R56 des TAS-Codes als unzulässig zurück. Gegen diesen Entscheid des Schiedsgerichts erhob die X. keine weiteren Einwände.
[8] Die X. bestätigte zudem am Ende der Schiedsverhandlung ausdrücklich, dass sie keine Einwände in Bezug auf die Verfahrensführung und insbesondere nicht betreffend das rechtliche Gehör und die Gleichbehandlung der Parteien habe.
[9] Mit Beschwerde vom 17. Oktober 2012 rügte die X. vor Bundesgericht (i) vorschriftswidrige Zusammensetzung des Schiedsgerichts und (ii) Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Entscheid
[10] Das Bundesgericht befasst sich zuerst mit der Rüge betreffend Zusammensetzung des Schiedsgerichts (E. 3) und anschliessend mit der Rüge betreffend rechtliches Gehör (E. 4).
[11] Nach einleitenden Bemerkungen zur Unabhängigkeit von Schiedsrichtern betont das Bundesgericht mit Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung, dass der Einwand der vorschriftswidrigen Zusammensetzung verwirkt, wenn er von den Parteien nicht “unverzüglich geltend gemacht wird” (E. 3.2).
[12] Es folgen allgemeine Ausführungen zur Unterscheidung zwischen “Benennung” und “Bestätigung” von Schiedsrichtern. Sodann verweist das Bundesgericht auf die Begründung des ICAS, wonach das Ablehnungsbegehren erst 21 Tage nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes gestellt worden sei, anstelle der in Artikel R34 TAS-Code vorgesehenen und mit Schreiben vom 7. Mai 2012 kommunizierten 7 Tage.
[13] Die X. argumentierte demgegenüber, dass die Ablehnungsfrist erst mit Bestätigung der Schiedsrichter durch das TAS zu laufen beginne, und eine “präventive Ablehnung” vor dieser Bestätigung nicht erforderlich gewesen sei. Zudem habe die X. darauf vertrauen dürfen, dass das TAS Frau E. aufgrund von Befangenheit ohnehin nicht bestätigen würde. Die unverzügliche Ablehnung sei erst dann geboten, wenn eine Person durch Bestätigung der Institution (hier durch das TAS) als Schiedsrichter eingesetzt werde.
[14] Das Bundesgericht folgt dieser Argumentation der X. nicht. Es hält mit Bezug auf BGE 130 III 66 E. 4.2 f. fest, dass die unverzügliche Ablehnungsobliegenheit der Parteien auch in Bezug auf “Schiedsrichterkandidaten”, die noch nicht bestätigt sind, zur Anwendung gelangt. Zusätzlich verweist das Bundesgericht auf die ausdrückliche Fristansetzung im Schreiben des TAS vom 7. Mai 2012. Gemäss Bundesgericht musste die X. nach Treu und Glauben die fristauslösende Wirkung dieses Schreibens erkennen. Somit durfte das TAS aus dem Stillschweigen der X. auf deren Einverständnis schliessen “oder entsprechende Einwendungen zufolge widersprüchlichen Verhaltens als verwirkt erachten” (E. 3.6).
[15] Gestützt auf diese Begründung schliesst das Bundesgericht, dass der X. die Rüge der vorschriftswidrigen Zusammensetzung des Schiedsgerichts gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG mangels rechtzeitiger Rüge im Verfahren verwehrt bleibt.
[16] Mit Bezug auf die behauptete Gehörsverletzung bestätigt das Bundesgericht seinen Grundsatz, wonach eine Partei die Rüge eines Verfahrensmangels verwirkt, wenn sie diesen “nicht rechtzeitig im Schiedsverfahren vorbringt und alle zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um den Mangel zu beseitigen”. Besondere Treuwidrigkeit erblickt das Bundesgericht im Verhalten einer Partei, die vor dem Schiedsgericht versichert, sie habe keine Einwände zum Verfahren und solche nachträglich im Rechtsmittelverfahren dennoch erhebt (E. 4.2).
[17] Indem die X. am Ende der Schiedsverhandlung ausdrücklich bestätigte, dass sie bezüglich rechtliches Gehör und Gleichbehandlung keine Einwände zur Verfahrensführung habe, ist ihre Rüge im Rechtmittelverfahren vor Bundesgericht verwirkt. Das Argument der X., sie habe die zuvor erhobene Rüge nicht zurückgezogen, sondern nur darüber hinaus keine weiteren Rügen geltend machen wollen, ist für das Bundesgericht eine blosse “Schutzbehauptung”. Massgeblich ist für das Bundesgericht die “vorbehaltlose Erklärung, keine Einwände zu haben” am Ende der Schiedsverhandlung.
[18] Damit schliesst das Bundesgericht, dass mangels Rüge im Verfahren die Berufung auf Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG nicht zur Verfügung steht.
Kommentar
[19] Das Bundesgericht betrachtet die Frage nach der vorschriftsgemässen Zusammensetzung des Schiedsgerichts nach streng formalen Kriterien: Wenn eine Partei ihrer unmittelbaren Rügeobliegenheit nicht spätestens innert Frist der anwendbaren Schiedsordnung nachkommt, trägt sie die vollen Rechtsnachteile der Rügeverwirkung. Dieses Konzept hat das Bundesgericht bereits in früheren Entscheiden angewandt und bleibt damit konsistent (BGE 136 III 605 E. 3.2.2.; BGE 129 III 445 E. 4.2.2.1.).
[20] Die Klarstellung des Bundesgerichts, dass die unmittelbare Rügeobliegenheit bereits für “Schiedsrichterkandidaten” gilt, ging aus BGE 130 III 66 E. 4.2 f. noch nicht in dieser Allgemeingültigkeit hervor. Es hätte auch mit nachvollziehbaren Argumenten vertreten werden können, dass Privatpersonen erst durch die Bestätigung der Institution (sofern vorgesehen) zu Schiedsrichtern werden und die Ablehnung von Schiedsrichtern erst nach diesem Zeitpunkt möglich und erforderlich ist. Diese alternative Ansicht hat das Bundesgericht nun ausdrücklich verworfen.
[21] Offengelassen hat das Bundesgericht jedoch die Frage, ob ein Schiedsrichter in besonders krassen Fällen von fehlender Unabhängigkeit trotz unterstelltem Einverständnis der Parteien untragbar im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. a IPRG sein kann. Das Bundesgericht scheint diesem Gedanken nicht grundsätzlich abgeneigt und hat in BGE 118 II 359 E. 3.b. festgehalten, dass die Möglichkeit bestehen muss, die Unabhängigkeit der Schiedsrichter im Sinne der rechtsstaatlichen Unbedenklichkeit zu überprüfen (für eine Übersicht der Lehrmeinungen vgl. BERGER/KELLERHALS, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 2. Aufl., London 2010, Rz. 812).
[22] Möglicher Ansatzpunkt für allgemein gültige Mindestanforderungen betreffend Unabhängigkeit von Schiedsrichtern sind die IBA Guidelines on Conflict of Interest in International Arbitration (IBA Guidelines). Diese werden vom Bundesgericht grundsätzlich beachtet (BGer 4A_506/2007, E. 3.3.2.2) und definieren eine sogenannte “non-waivable red list”, die derart bedenkliche Konstellationen beschreibt, dass selbst die nachträgliche Einwilligung der Parteien eine Schiedsrichtertätigkeit ausschliesst (vgl. IBA Guidelines PART II, Ziff. 2 auf S. 17).
[23] Art. 1.4 der “non-waivable red list” beschreibt unter anderem den folgenden Tatbestand: “The arbitrator regularly advises the appointing party or an affiliate of the appointing party, and the arbitrator or his or her firm derives a significant financial income therefrom”.
[24] Aufgrund der Sachverhaltsdarstellung ist nicht auszuschliessen, dass Frau E.s Tätigkeit als Konsulentin der FIFA die Voraussetzungen dieses Tatbestands erfüllt hätte. Dennoch hat sich das Bundesgericht nicht auf eine inhaltliche Prüfung eingelassen, sondern die Rüge als verwirkt zurückgewiesen. Dieser Umstand legt nahe, dass das Bundesgericht die “non-waivable red list” der IBA Guidelines derzeit nicht als Massstab für generell untragbare Abhängigkeitskonstellationen zu übernehmen gedenkt. Andernfalls hätte es sich aufgedrängt, inhaltlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen von Art. 1.4 vorliegend erfüllt gewesen wären. Darauf hat das Bundesgericht jedoch verzichtet.
[25] Betreffend rechtliches Gehör wendet das Bundesgericht ebenfalls die bekannten formalen Rügekriterien an: Eine Partei, die einen Verfahrensmangel nicht rechtzeitig im Schiedsverfahren vorbringt und alle zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um den Mangel zu beseitigen, verwirkt das Rügerecht im Rechtsmittelverfahren (E. 4.2.). Das Bundesgericht bestätigt auch seine strengen Anforderungen an die Erklärungsklarheit und ‑konsistenz (BGer 4A_407/2012; BUHR, Hohe Anforderungen an mündliche Verfahrensrügen in Schiedsverhandlungen, in: dRSK, publiziert am 19. März 2013).
[26] Diese Rechtsprechung mag auf den ersten Blick formalistisch anmuten, ist im Ergebnis jedoch zu begrüssen. In der Hitze des Gefechts einer Schiedsverhandlung bringen Parteien regelmässig alle Art von Rügen (“objections”) vor. Sie stützen sich dabei oft und gerne auf ihren Anspruch auf Gleichbehandlung oder rechtliches Gehör, um damit ihren Standpunkt möglichst effektiv zu vertreten. Nur in seltenen Fällen, sind die Parteien jedoch am Ende der Verhandlung immer noch der Ansicht, dass ihre grundlegenden Rechte tatsächlich verletzt wurden. Wo dies aber der Fall ist, kann und muss eine Partei der Ernsthaftigkeit ihrer Rüge, z.B. durch Schriftlichkeit oder Wiederholung Ausdruck verleihen.
[27] Teilweise wird argumentiert, die Parteien sollten nicht gezwungen werden, das Schiedsgericht durch allzu scharfe Rügen zu verärgern (BGer 4A_407/2012, E. 3.2.2.). Das Risiko, dass das Schiedsgericht in der Sache anders entscheiden wird, weil eine Partei einen Verfahrensentscheid unmissverständlich gerügt hat, ist nach hier vertretener Ansicht wohl vernachlässigbar klein. Daher ist es den Parteien zuzumuten, dass sie ihre Rüge am Ende der Verhandlung noch einmal ausdrücklich zu Protokoll geben oder kurz nach der Verhandlung schriftlich festhalten.
[28] Für Parteivertreter in Schiedsverfahren gilt demnach: Eine Rüge zur Verfahrensführung, die auch in einem Rechtsmittelverfahren belastbar sein soll, ist unmittelbar vorzutragen und sicherheitshalber innert weniger Tage schriftlich an die Adresse des Schiedsgerichts zu bestätigen. Professionelle Höflichkeit schadet dabei nicht, solange die inhaltliche Klarheit nicht leidet.
Zitiervorschlag:
Simon Gabriel, Strenge Rügeobliegenheit in Ablehnungskonstellationen, in: dRSK, publiziert am 17. Juli 2013